Die polnischen Könige wußten, was sie an den zuwandernden Juden hatten, so lag es auf der Hand, daß sie die jüdischen Gemeinden vor neidenden Kirchenfürsten schützten. Während im Westen des 13. Jhdt. die Juden durch die Laterankonzile immer mehr Beschneidungen durch den Klerus hinnehmen und brandschatzende Verfolgungen erleiden mussten, sicherte ihnen der polnische König Boleslaw der Fromme 1264 im Statut von Kalisch besondere Rechte und staatlichen Schutz zu - ein Novum in der mittelalterlichen Geschichte. Eine Blüte der jüdischen Kultur in Europa beginnt, Polen und Litauen entwickeln sich zu ihren Zentren. Innerhalb des Judentums bekommen diese beiden Länder die Vormachtstellung an Kultur und Bevölkerungswachstum in quantitativer wie auch in qualitativer Hinsicht - der größte Teil jüdischer Weltbevölkerung lebt zu dieser Zeit inzwischen längst nicht mehr in Palästina sondern in Europa und hier wiederum in Polen, Litauen und Weißrußland.
Trotz Spannungen zwischen Juden und Klerus sowie christlichen Kaufleuten, die die Privilegien und den Schutz der Juden immer wieder aufzuheben oder zu unterwandern suchten, betrachteten die jüdischen Zuwanderer Polen als gelobtes Land, in dem sie in Frieden leben und ihren Ritus pflegen konnten. Die Erneuerung des Statuts von Kalisch und seine Ausweitung auf ganz Polen unter dem Jagiellonenkönig Kazimierz von Polen im 14. Jhdt. brachte nochmals einen kräftigen Einwanderungsschub und begünstigte das Entstehen einer eigenen Kultur in Sprache (Jiddisch), Musik (Klezmer), Literatur und Religion, die einzigartig in Europa bleiben sollte. |
Trotz mancher Rückschläge, wie durch die Kosakenüberfälle im 17. Jhdt. unter dem Kosakenhetman Bogdahn Chmielnicki erstarkte die jüdische Kultur immer wieder und brachte in der Religion durch den Wanderprediger Israel Ben Eliezer, später Baal Shem Tov genannt, eine eigene Frömmigkeitsbewegung, den Chassidismus hervor.
Allein sechs Jahre (1939-1945) Terror- und Gewaltherrschaft durch SS, Wehrmacht und Polizeibataillone in Osteuropa reichten aus, um eine tausend Jahre alte Kultur zunichte zu machen und Europa unwiederbringlich um einen großen Teil seines kulturellen Reichtums zu berauben. Und dennoch ist es den Nationalsozialisten nicht gelungen, diese Kultur mundtot zu machen. In den Liedern und Melodien bleibt diese Lebenswelt solange lebendig, solange es Menschen gibt, die diese Lieder singen, die Musik spielen und vom Reichtum in der Armut und von der Seelenkraft in Verfolgung und Vertreibung weiter erzählen - und solange es Menschen gibt, die den Geschichten, Melodien und Liedern gern zuhören und sich berühren lassen. |